Der ultimative Gefühls-Guide

In meiner Arbeit bemerke ich, dass es beim Thema “Gefühle” immer wieder Missverständnisse und Unklarheiten gibt. Dabei sind Gefühle und Emotionen ein zentraler Bestandteil der Traumaheilung.

Deswegen gibt es heute alle relevanten Informationen über die Gefühle des Menschen, insbesondere in Hinblick auf Bindungstrauma.

Bevor wir in die Details einzelner Gefühle gehen, verschaffen wir uns zuerst eine Übersicht:

Die 17 Gefühlsräume

  1. Wut

  2. Trauer

  3. Depression

  4. Traurigkeit

  5. Schuld

  6. Scham

  7. Angst

  8. Ekel

  9. Mangel

  10. Verachtung

  11. Überraschung

  12. Vertrauen

  13. Freude

  14. Selbstachtung

  15. Wertschätzung

  16. Interesse

  17. Zuversicht


Und nun schauen wir uns diese Gefühlsräume im Detail an:

Wut

Biologischer Trigger: Übergriffigkeit, z.B.

  • Bedrohung

  • Beleidigung

  • Ungerechtigkeit

Wahrnehmung: Es ist sicher genug

  • Ich muss mich verteidigen und bin (wahrscheinlich) überlegen

  • Ich kann meinen Frust sicher rauslassen

Biologischer Zweck: Durchsetzen

  • Wehren, Verteidigen

  • Grenzsetzung

  • Abgrenzen, Distanz schaffen

  • Schutz (z.B. von Werten, Selbstwert, körperlicher Unversehrtheit)

Biologische Körperreaktion: Vorbereitung auf einen Kampf

  • Freisetzung körperlicher Ressourcen über Aktivierung des sympathischen Nervensystems: Herzfrequenz, Atemfrequenz und Blutdruck steigen, Adrenalinanstieg - Wärme entsteht

  • Stress

  • erhöhte Wachsamkeit, Fokus auf das Wutobjekt

  • Anspannung des Körpers (Zweck: Schutz der inneren Organe)

  • Reduzierte Schmerzwahrnehmung

  • Herabsetzung der Hemmschwelle für Gewalt (körperlich, verbal)

  • Reduzierung von Zugriff auf das Großhirn (z.B. auf das soziale Interaktionssystem und den bewussten Verstand)

  • Archaische, autonome Hirnregionen (Hirnstamm, limbisches System) übernehmen vermehrt die Kontrolle

Gefühle aus dem Wutspektrum:

  • Wut

  • Aggression

  • Zorn

  • Genervtheit

  • Empörung

Mögliche Verzerrung durch Bindungstrauma:

  • Unverhältnismäßige Wut-Reaktion: Es wird vom System zwar das Gefühl aus dem Wutspektrum erzeugt, welches eine Entsprechung zur Situation passt, jedoch nicht verhältnismäßig. Also: zu geringe Reaktion oder übersteigerte Reaktion

  • Keine Wut-Reaktion: Das Gefühl aus dem Wutspektrum bleibt trotz Übergriffigkeit und objektiver Sicherheit vollständig aus. Stattdessen zeigen sich Gefühle, die keine Entsprechung zur Situation haben oder gar keine emotionale Reaktion

  • Fehlerhafte Wut-Reaktion: Das System empfindet ein Gefühl aus dem Wutspektrum, obwohl es keinen objektiven Auslöser gibt

Trauer

Biologischer Trigger: Verlust von Bindung, z.B.

  • Trennung

  • Tod

Wahrnehmung: Es ist permanent

  • Ich haben ihn/sie verloren

  • Ich möchte ihn/sie wieder bei mir haben

Biologischer Zweck: Bindung erhalten

  • Kümmern um Bindungen, um das Gefühl von Trauer zu vermeiden

  • evolutionsbiologisch geht es um den Erhalt der Menschheit

Biologische Körperreaktion: Schmerz

  • emotionaler Schmerz

  • Weinen

  • Mentaler Fokus auf den Verlust

  • Appetitveränderungen

  • Schlafprobleme

  • Motivationsverlust

  • Lustlosigkeit

Gefühle aus dem Spektrum von Trauer:

  • Trauer

  • Melancholie

  • Bedauern

  • Weinerlich

  • Einsamkeit

  • Bestürzt

  • Kummer

  • Vermissen

  • Jammern

Mögliche Verzerrung durch Bindungstrauma:

  • Zu milde Trauer-Reaktion: Wenn sich bei Verlust von Bindung kaum Trauer zeigt, dann kann eine bindungstraumatische Veränderung des emotionalen Systems vorliegen: Bindungsunfähigkeit, Bindungsangst, narzisstische Muster, Autonomietrauma, usw. Der Mensch hat Schwierigkeiten damit Bindung aufzubauen oder keinen Zugang zur Trauer. Wahrscheinlich ist, dass die Gefühle von Trauer als Kind zu stark waren und dass das System den Gefühlsraum daher deckelt - mit schweren Folgen für die Bindungsfähigkeit.

  • Zu starke Trauer-Reaktion: Wenn der Mensch bei einem Verlust (z.B. des Beziehungspartner) in ein kindliches Muster verfällt, scheint ebenfalls der Verdacht nahe, dass es sich um ein Bindungstraumamuster handelt. Dieses Mal aus dem anderen Spektrum: Heteronomie-Typ ,Verlustangst-Typus, Hochsensibel. Bei diesem System reagiert der Emotionsraum, wie beim Verlust der Mutter als Kind. Mit Todesängsten, Panikattacken und Verzweiflung. Auch diese Reaktion ist als Erwachsener nicht verhältnismäßig und beruht darauf, dass das (emotionale) System noch in der Kindheit verhaftet ist.

  • Trauer-Reaktion ohne Entsprechung: Eine dritte Verzerrung ist, wenn sich Trauer ohne einen (realen) Verlust zeigt. Möglicherweise durch Gedanken an frühere Verluste, die lange her sind. Durch Gedanken an die Kindheit. Oder durch eine Phastasiebindung. Es kann sich auch Trauer ohne bestimmte Gedanken zeigen. Die Trauer aus der Kindheit strömt an die Oberfläche.



Depression

Biologischer Trigger: Hoffnungslosigkeit

  • keine Perspektive

  • keine Interessen

  • kein Sinn

Wahrnehmung: Es gibt keinen Ausweg

  • Egal was ich mache, ich werde für immer leiden

  • Ich werde nie wieder Freude empfinden

Biologischer Zweck: Energie sparen

  • sozialer Rückzug

  • Isolation

  • Motivationsverlust

Biologische Körperreaktion: Vorbereitung auf den Tod

  • Suizidgedanken

  • Taubheit

  • Erstarrung (“Freeze”)

Gefühle aus dem Spektrum der Depression:

  • Depression

  • Hilflosigkeit

  • Hoffnungslosigkeit

  • Resignation

  • Leere

  • Elend

Depression und Bindungstrauma:

Depression kann eine (mittelbare) Folge von Bindungstrauma sein. Es gibt verschiedene Wege:

  • wenn dem System grundsätzlich Wehrhaftigkeit fehlt (z.B. durch unterdrückte Wut), kann der Eindruck einer Hilflosigkeit entstehen

  • als Kind war die Situation tatsächlich hoffnungslos (keine Chance auf Veränderung oder Flucht) und entsprechend reagierte das System mit Resignation. Diese Grundidee (“Es ist hoffnungslos”) kann sich dann auch auf das Gefühlsleben als Erwachsener projizieren

  • wenn das Nervensystem als Erwachsener auf Grund von Bindungstrauma chronisch übererregt ist (Sympathikus, Kampf-oder-Flucht-Modus), kann das System ausbrennen. Die Folge ist ein Zustandswechsel des Nervensystems (Parasympathikus, dorsaler Vaugs, Shut-Down)

  • durch Bindungstrauma kann der Mensch Schwierigkeiten haben gesunde Beziehungen aufzubauen. Entweder der Mensch hat keine Verbindung oder es kommt zu nur zu oberflächlichen, oder gar toxischen Verbindungen. Das alles kann das System in depressive Gefühlsräume befördern.



Traurigkeit

Biologischer Trigger: Ablehnung

  • negative Rückmeldung

  • Absage (z.B. Treffen, Bewerbung, Jobverlust)

  • sozialer Ausschluss

Wahrnehmung: Ich bin es nicht wert

  • Ich bin einfach nicht genug für den Job

  • Er hat bestimmt etwas besseres zu tun, als sich mit mir zu treffen

  • keiner hier mag mich

Biologischer Zweck: Selbstwerterhalt

  • Ermutigung Anpassung und Veränderung

  • Signalisierung von persönlichen oder sozialen Problemen

  • vermehrte Anstrengung

  • Erhalt sozialer Verbindungen und Verpflichtungen

In dem das System das Gefühl von Traurigkeit (Leidenszustand) nicht fühlen möchte, versucht es sich also zu adaptieren, um in zukünftigen Situationen den Selbstwert vermehrt zu erhalten.

Biologische Körperreaktion: Leiden

  • Weinen

  • Kraftlosigkeit

  • Niedergeschlagenheit

Gefühle aus dem Spektrum von Traurigkeit:

  • Traurigkeit

  • Selbst(mitleid)

  • Eifersucht

  • sich beleidigt fühlen

  • sich verraten fühlen

  • Ablehnung

Mögliche Verzerrung durch Bindungstrauma:

  • Fehlerhafte Reaktion: Das System reagiert mit Traurigkeit, obwohl es objektiv keine Ablehnung gab. Die Ablehnung ist lediglich Teil der Wahrnehmungsverzerrung auf Grund von Bindungstrauma.

  • Überstarke Reaktion: Dass Ablehnung das Gefühl von Traurigkeit erzeugt ist physiologisch. Wenn eine einfache Ablehnung jedoch großes Leid hervorruft, dann kann es um eine Verzerrung auf Grund von Bindungstrauma handeln.

  • Kein Zugriff: Wenn es auf das Gefühl von Traurigkeit gar keinen Zugriff gibt, dann ist das ebenfalls eine Bindungstraumafolgestörung. Wenn die Traurigkeit abgespalten ist, dann führt das dazu, dass auch positive Gefühle gar nicht mehr, oder nicht mehr stark, gefühlt werden können.

  • Substitutionsgefühle: Wenn bei Ablehnung statt Traurigkeit primär andere Gefühle, wie Wut, Hass, Scham, Schuld, Selbstkritik, o.a. im System erscheinen, dann ist das eine weitere Möglichkeit, wie Traurigkeit durch Bindungstrauma verzerrt worden sein kann.



Schuld

Biologischer Trigger: Verletzung eigener moralischer Werte

  • sich entgegen der eigenen Moral verhalten

  • die eigenen Werte nicht vertreten

  • Inkohärenz im moralischen Selbstbild

  • soziale Erwartung schuldhaft nicht erfüllen

  • fahrlässiges Versagen bei Aufgaben und Pflichten

Wahrnehmung: Ich habe falsch gehandelt / Ich handle falsch

  • Wegen mir…

  • Das hätte ich nicht denken dürfen

  • Ich bin Schuld, dass…

  • Wenn er das wüsste…

  • Hätte ich das nicht gemacht, dann…

Biologischer Zweck: Aufrechterhaltung sozialer Normen

  • Halten an kollektiv aufgestellte Regeln

  • soziale Kalibrierung

  • sozialverträgliches Verhalten

  • Schutz von Bindungspersonen und der Allgemeinheit

Biologische Körperreaktion: Belastung

  • Aktivierung des sympathischen Nervensystems (Adrenalin, Cortisol…)

  • emotionales Stressgefühl

  • erhöhte Muskelspannung

  • Veränderungen in Appetit, Verdauung, Schlafverhalten

Gefühle aus dem Schuld-Spektrum:

  • Schuld

  • Reue

  • Bedauern

  • Selbstkritik, Selbstablehnung, Selbsthass

Mögliche Verzerrung durch Bindungstrauma:

  • Unverhältnismäßige Reaktion: gerade wenn man als Kind von der Hauptbindungsperson (häufig Mutter) Schuld suggeriert bekommen hat, kann das System als Erwachsener unverhältnismäßig stark auf Schuld-Trigger reagieren. Zum Beispiel hat man das Bedürfnis nach Autonomie und fühlt sehr schuldig, wenn man es einfordert. (z.B. im Bezug auf Mutter, Oma oder Partner)

  • Fehlerhafte Verschaltung: Es gibt Bindungstrauma-Konstellationen, in denen das Gefühl Schuld generiert, obwohl es objektiv keinerlei Hinweise darauf gibt.

  • Keine Schuld-Reaktion: Insbesondere bei Menschen, die viele narzisstische Anteile in sich tragen, kann die Schuldreaktion, trotz schuldhaftem Verhalten, vollständig ausbleiben.

  • Schuld als Substitutionsgefühl: In einigen Konstellationen, vor allem wenn Wut und/oder Trauer abgespalten sind, reagiert das System mit Schuld, statt gemäß Entsprechung mit Wut oder Trauer zu reagieren.



Scham

Biologischer Trigger: Verletzung des Selbstwertes

  • Demütigung

  • Bloßstellung

  • Ausgelacht werden

  • Fehler

  • Misserfolg

  • unangemessenes Verhalten in sozialen Situationen

  • gesellschaftliche oder soziale Erwartung nicht erfüllen

Wahrnehmung: Ich bin/war falsch

  • Ich bin nicht gut genug

  • Das ist mir unangenehm

  • Peinlich, dass mir das jetzt passiert

  • Ich habe versagt

  • Warum bin ich so anders?

  • Ich würde mich am liebsten auflösen

  • Jetzt denkt er schlecht über mich

  • Alle haben ein negatives Bild von mir

  • Ich sehe nicht gut genug aus

Biologischer Zweck: Anpassung im sozialen Gefüge

  • Anpassen

  • Nicht negativ auffallen

  • Nicht ausgeschlossen werden

  • Gemocht werden

  • Angenommen werden

Scham ist ein besonders starkes Gefühl, da ein Ausschluss aus einer Gemeinschaft vor nicht allzu langer Zeit noch den sicheren Tod bedeutet hätte. Und darauf ist unser Nervensystem noch eingestellt.

Biologische Körperreaktion: Unsicherheit

  • Wärmeentwicklung

  • Schockgefühl

  • Erröten

  • Herzrasen

  • Beschleunigte Atemfrequenz, flache Atmung

  • Verspannung

  • innere Unruhe

  • Beine werden weich

  • unsicherer Gang

  • verstärktes Schwitzen

  • Vermeidungs- / Fluchtverhalten

Gefühle aus dem Scham-Spektrum:

  • Scham

  • Peinlichkeit

  • Demütigung

  • Minderwert

  • Unsicherheit

  • Unbehagen

  • Soziale Phobie

Mögliche Verzerrung durch Bindungstrauma:

  • Toxische Scham: Der Mensch gerät in Scham, ohne, dass es dafür eine reale Entsprechung gäbe. Bereite kleinste soziale Interaktionen können den Menschen in Scham versetzen. Gerade wenn die Bindungspersonen das Kind beschämt haben oder es Erfahrung mit Mobbing gibt, kann diese Verzerrung eintreten.

  • Übermäßige Scham: Leicht unangenehme Situationen lösen beim Menschen eine enorme Scham aus.

  • Persistente Scham: Der Mensch leidet nachhaltig an unangenehmen Situationen aus der Vergangenheit (z.B. durch wiederkehrende Bilder im Kopf)

  • Kein Schamgefühl: Bei Menschen, die viele narzisstische Anteile haben, kann die Scham ausbleiben, obwohl es eine Entsprechung im Außen dafür gibt.

  • Scham als Substitution: Gerade wenn der Gefühlsraum der Wut unterdrückt ist, kann das System bei Übergriffigkeit Scham statt Wut (was physiologisch wäre) fühlen.

  • Internalisierte Scham: Menschen, die durch Bindungstrauma einen niedrigen Selbstwert haben, sich pauschal unwürdig oder minderwertig fühlen, können ein dauerhaftes Gefühl von Scham wahrnehmen. Das führt häufig zu sozialem Rückzug und Isolation.



Angst

Biologischer Trigger: Wahrnehmung von Gefahr

  • physische Bedrohungen

  • existenzielle Gefahr

  • Unsichere Zustände

  • Bedrohung des optimalen Selbstbildes

  • Zu erwartende stark negative Empfindungen (Schmerz, Leid, Wohlstandsverlust, Scham, Angst, usw.)

Formel: Wahrscheinlich des Eintritts der Gefahr x Katastophengrad bei Eintritt = Wahrgenommene Angst

Wichtige Anmerkung: Angst wird in der Gehirnreagion Amygdala gebildet. Je größer diese Hirnregion bei einem Menschen ausgeprägt ist, desto schneller und desto mehr Angst wird er fühlen.

Wahrnehmung: Es ist nicht sicher

  • Wenn das passiert, dann…

  • Was mache ich nur, wenn…

  • Das wird richtig schlimm!

Biologischer Zweck: Vermeiden von Gefahr

  • Erhaltung der physischen oder psychischen Unversehrtheit

  • Erhaltung des Lebensstandards

  • Vermeiden von Schmerz und Leid

  • Überleben

  • Vermeiden von sozialem Ausschluss

  • Erhalt des optimalen Selbstbildes

  • Erhalt von wahrgenommener Sicherheit

Du siehst, dass es bei Angst nicht nur um eine primive Reaktion des Körpers handelt, um das Überleben zu sichern. Es geht um viel mehr. Angst ist ein überaus komplexes Geschehen.

Biologische Körperreaktion: Stress

  • Stressreaktion des Körpers (Ausschüttung von Stresshormonen und damit verbundenen Körperreaktionen)

Grundsätzlich ist ein Angst nicht per se ein Gefühl. Vielmehr gerät der Körper in Stress. Und je höher des Grades an Stress ist, desto mehr nehmen wir diesen körperlichen Stress als Angst wahr.

Gefühle aus dem Angst-Spektrum:

  • Sorge

  • Angst

  • Pessimismus

  • Nervosität

  • Besorgnis

  • Phobie

  • Panik

Mögliche Verzerrung durch Bindungstrauma:

Über Angst und Bindungstrauma müsste ich ganz sicher einen einzelnen Artikel schreiben - nein. Ein ganzes Buch.

In diesem Rahmen beschränke ich mich auf das Wesentliche:

Für jede Angst im Bindungskontext, die unverhältnismäßig (den Umständen entsprechend zu stark oder zu schwach) ist, kann Bindungstrauma als Ursache in Frage kommen.

Außerdem auch, wenn Angst ohne eine reale Entsprechung auftritt. Zum Beispiel auf Grund von Angstgedanken, die objektiv keinen Realitätsbezug haben.

Grundsätzlich jedoch, und das ist wichtig, sind Ängste gesund und normal. Und dazu gehören auch Angst vor Ablehnung, Verlustängste oder Angst vor Einsamkeit und Beziehungslosigkeit.

Ganz wichtig und deswegen betone ich das so eindeutig: Diese Ängste sind normal und gesund! Wenn es keine Angst vor Ablehnung, keine Angst vor Verlust oder keinerlei Angst vor ewiger Beziehungslosigkeit im System gibt, kann das genauso ein Zeichen für Bindungsangst sein, als wenn diese Ängste in einem extremen Maße auftreten.

Wenn Ängste aus dem Bindungskontext also, wie bereits erwähnt, nicht in einem gesunden, physiologischen Maße auftreten, darf an Bindungstrauma gedacht werden:

  • extreme Angst vor Ablehnung, die so weit geht, dass man sich nicht traut überhaupt auf Menschen zuzugehen

  • Verlustangst, ohne, dass es überhaupt Anzeichen dafür gibt, dass man verlassen werden könnte oder eine Verlustangst, die in Panikzuständen (Todesangst) mündet

  • Angst vor Verletzung, die dazu führt, dass man sich Bindung gegenüber verschließt oder Bindung sabotiert (z.B. über extreme Erwartungen oder ein übertrieben negatives Selbstbild)

  • Angst vor Nähe, ohne dass diese eine reale Gefahr darstellt

  • Angst vor Sexualität oder Körperlichkeit, ohne, dass der Partner eine echte Bedrohung für die sexuelle Selbstbestimmtheit oder die körperliche Unversehrtheit wäre

  • Grundsätzliche Angst vor Intimität oder dem Austausch von Gefühlen

  • Angst vor Konflikten, wenn diese objektiv keine Gefahr für das Selbstbild, den Selbstwert oder die körperliche Gesundheit darstellen

  • Angst vor Vertrauensbruch, wenn es keine Anzeichen für Misstrauen gibt

  • Eine grundsätzliche Angst vor Kontrollverlust

  • Grundsätzliche Angst vor Veränderung

  • usw.

Du siehst, über dieses Thema könnte ich noch ewig schreiben. Doch ich denke es ist Zeit zum nächsten Gefühl zu kommen.



Ekel

Biologischer Trigger: Gesundheitsgefahr

  • Geruch

  • Geschmack

  • visuelle Wahrnehmung

Wahrnehmung: Das ist nicht gesund für mich

  • das sollte ich lieber nicht essen

  • von dem Menschen sollte ich mich fernhalten

  • das ist abstoßend

  • bleib weg!

  • das ist ja widerlich!

Biologischer Zweck: Gesunderhaltung

  • nicht krank werden

  • keine giftigen Lebensmittel konsumieren

  • Schutz vor Krankheitsübertragung

Das Gefühl von Ekel geht noch über die eigene Gesunderhaltung hinaus. Es geht auch um eine gesunde nächste Generation. Sexueller Ekel hat den Zweck die Genetik der nächsten Generation zu schützen.

Biologische Körperreaktion: Übelkeit

  • Unwohl sein

  • Brechreiz

  • Bauchschmerzen

  • Schüttelfrost

  • Beschleunigter Herzschlag

  • Fluchtreaktion, Distanzierung

Gefühle aus dem Spektrum von Ekel:

  • Ekel

  • Abneigung

  • Abscheu

  • Angewidert sein

Mögliche Verzerrung durch Bindungstrauma:

  • grundsätzliches Ekelgefühle bei Sexualität

  • Ekel bzgl. des eigenen Körpers

  • übertriebene Reinlichkeit

  • Ekel davor Menschen anzufassen oder berührt zu werden

  • Ekel in Bezug auf soziale Situationen

  • Das Gefühl, dass bestimmte Menschen eklig sind, ohne dass das objektiv / biologisch begründbar wäre



Mangel

Biologischer Trigger: Wahrnehmung / Erwartung von Mangel

  • Jemand hat etwas, was ich gerne hätte

  • Es gibt etwas, was ich nicht habe, aber brauche

  • Der “Ist”- und der “sollte sein”-Zustand weichen voneinander ab

  • Mir wird etwas weggenommen

Wahrnehmung: Mir fehlt etwas / mir könnte etwas fehlen

  • warum hat er das und ich nicht

  • das steht mir eigentlich zu

  • das ist total unfair

  • wie soll ich das ohne dich schaffen?

  • wenn ich ihm das gebe, dann fehlt es mir nachher

Biologischer Zweck: Ressourcenaufbau

  • Überlebenswahrscheinlichkeit erhöhen

  • Lebensqualität steigern / beibehalten

Biologische Körperreaktion: Wut

  • Stress im Körper (Symathikus-Aktivierung)

  • Bereitstellung von Energie für Ausgleich des Mangels (biologisch!)

Gefühle aus dem Spektrum von Mangel:

  • Neid

  • Gier

  • Geiz

  • sich unfair behandelt fühlen

  • Frustration

  • Enttäuschung

  • Ungeduld

  • Verlangen

  • Sehnsucht

Mögliche Verzerrung durch Bindungstrauma:

  • Bei Bindungstrauma gibt es Geiz- und Gier-Verzerrungen. Diese habe ich hier beschrieben. Man hält im Kontakt chronisch Ressourcen zurück oder fordert Ressourcen von anderen auf ungesunde Weise ein

  • übersteigerter oder chronischer Neid

  • sich ständig unfair behandelt fühlen, obwohl dies einer objektiven Beurteilung nicht Stand halten würde. Oder ein kindliches Verhalten im Bezug auf Unfairness. Erwachsene akzeptieren, dass die Welt nicht immer fair ist.

  • in Bindung zu schnell frustriert (Aufgeben, Trennen), ungeduldig oder enttäuscht (Beleidigt) sein

  • übersteigertes Verlangen nach Bindung, Kontakt und Liebe (“Heteronomie-Verzerrung”)

  • Sehnsucht nach Menschen, die schon lange kein Teil des Lebens mehr sind



Verachtung

Biologischer Trigger: moralische Verurteilung

  • eine andere Person verhält sich dauerhaft “falsch”

  • Geringschätzung

Wahrnehmung: Fehler, Mangel, Verfehlung

  • ich hasse dich

  • du bist ein schlechter Mensch

Biologischer Zweck: Selbstschutz

  • Distanzierung von Menschen, die sich nicht den eigenen moralischen Vorstellungen nach verhalten

Biologische Körperreaktion: Hass

  • Stress im Körper (Symathikus-Aktivierung)

  • Bereitstellung von Energie für Distanzierung

Gefühle aus dem Spektrum der Abneigung:

  • Verachtung

  • Rachegefühle

  • Abneigung

  • Hass

  • Feindseligkeit

Mögliche Verzerrung durch Bindungstrauma:

  • Verachtung richtet sich auf sich selbst

  • Gefühle der Verachtung entstehen ohne biologisch ausreichende Entsprechung

  • Übermäßiger Ausdruck von Gefühlen der Verachtung

  • Nicht dazu in der Lage sein Verachtung zu fühlen (unterdrückte Gefühlsräume)

  • unverhältnismäßig intensive Gefühle der Verachtung (oft bei Narzissmus)



Überraschung

  • emotionale Reaktion auf unerwartetes Ereignis

  • die einzige Relevanz auf Trauma wäre der Schock, aber das wird an dieser Stelle nicht weiter thematisiert

  • Gefühle aus dem Spektrum: Staunen, Verblüffen, Unglaube, Faszination, Verwirrung



Vertrauen

  • Sicherheit fühlen, im Bezug auf etwas oder jemanden

  • Im Bindungskontext spielt Vertrauen eine große Rolle

Wenn man als Kind zu wenig Sicherheit und/oder Verbindlichkeit erfahren hat, dann ist das grundsätzliche Vertrauen gestört. Es darf durch Bindungstraumaarbeit wieder aufgebaut werden.

Vertrauen ist nichts, was man bewusst erzeugen könnte. Es ist ein Zustand des Nervensystems und abhängig von zahllosen autonomen intrinsischen und extrinsischen Faktoren.

  • ein verhältnismäßiges Misstrauen in der Bindung ist normal und gesund



Freude

  • Trigger: Erfolg, Bindung, Vergnügen

  • Körperreaktion: Entspannung, Wohlgefühl (ventraler Vagus)

  • Gefühle: Glück, Freude, Erleichterung, Zufriedenheit, Euphorie, Heiterkeit, Ausgelassenheit, Erfüllung

  • Verzerrung: Durch Bindungstrauma tendiert das Nervensystem zu Stresszuständen (Sympathikus) und Shut-Down (dorsaler Vagus). In beiden Zuständen ist Zugriff auf Gefühlsräume der Freude (ventraler Vagus) beschränkt.

    Hinweis: Das ist vereinfacht ausgedrückt und wissenschaftlich nicht ganz korrekt, trifft aber den entscheidenden Punkt.



Selbstachtung

  • Gefühle: Selbstachtung, Stolz, Selbstsicherheit, Selbstzufriedenheit, Würde, Selbstermächtigung, Ehrgefühl, Selbstakzeptanz

  • Stolz-Verzerrung: Eine Folge von Bindungstrauma ist die Stolz-Verzerrung. Bei dieser tritt eine übersteigerte, oberflächliche Form des Stolzes auf, um verletzliche Ebenen (Scham, Minderwert, Traurigkeit,…) zu “schützen”. In diesem Podcast habe ich ausführlich davon berichtet.

  • Stolz-Aversion: Eine andere Bindungstraumafolgestörung ist eine grundsätzliche Ablehnung von Stolz. Das natürliche Gefühl wird als per se falsch oder arrogant aufgefasst. Oder das System ist gar nicht in der Lage das Gefühl von Stolz zu generieren.

  • Selbstablehnung: In schwerwiegenden Fällen kann Bindungstrauma zu einer grundsätzlichen Ablehnung sich selbst gegenüber führen. Gefühle der Selbstachtung können nicht gefühlt und wahrgenommen werden.



Wertschätzung

  • Gefühle: Wertschätzung, Dankbarkeit, Anerkennung, Respekt, Würdigung, Bewunderung, Wohlwollen, Achtung, Sympathie, Empathie

  • Narzissmus: Wenn das System durch Bindungstrauma zu viele narzisstische Anteile hat, dann werden Gefühle der Wertschätzung nicht oder kaum empfunden

  • Nervensystem: Wenn sich das System im Zustand der Übererregung (Sympathikus) oder der Untererregung (dorsaler Vagus) befindet, ist die Fähigkeit auf Gefühle der Wertschätzung zuzugreifen beschränkt. Es kann dann weniger Dankbarkeit, Wohlwollen oder Empathie empfunden werden.

  • Heteronomie-Verzerrung: Die Heteronomie-Verzerrung ist eine Folge von Bindungstrauma. Wenn sie ausgeprägt auftritt, können die Gefühle der Wertschätzung für einen anderen anderen Menschen unverhältnismäßig ausgeprägt auftreten.



Interesse

  • Gefühle: Interesse, Neugierde, Faszination, Begeisterung, Entdeckungsdrang, Wissbegierde, Enthusiasmus, Motivation, Engagement, Eifer, Leidenschaft, Inspiration

  • Verzerrung: Wenn sich das Nervensystem durch die Folge eines Bindungstraumas primär im Stress (Sympathikus) oder im Shut-Down (dorsaler Vagus) befindet, können Gefühle aus dem Spektrum von Interesse kaum oder gar nicht wahrgenommen werden.

Wenn das System durch Traumaarbeit dauerhaft (primär) in den Zustand des ventralen Vagus (Entspannung) versetzt wird, zeigen sich auch die Gefühlsräume des Interesses.



Zuversicht

  • Gefühle: Zuversicht, Hoffnung, Optimismus, Glaube, Entschlossenheit, Mut, Vorfreude

  • Verzerrung: Menschen mit Bindungstrauma haben es in der Kindheit schwer gehabt, Zuversicht aufrecht zu erhalten. Denn die Erfahrung war: “Es ist hoffnungslos.” Deswegen neigen Menschen mit Bindungstrauma dazu, die Gefühle aus dem Spektrum der Zuversicht zu wenig oder gar nicht wahrzunehmen.



Um die Gefühlsräume zu integrieren und zu entzerren, kann Traumaarbeit helfen. Wenn du dich darüber informieren möchtest, wie das funktioniert, kannst du einmal hier klicken:







Alexander Bohley

hilft Menschen aus Bindungs- und Entwicklungstrauma

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