Bindungstrauma: Du brauchst keine “Therapie”!

Ich habe mich dazu entschieden nicht länger als Therapeut in den Kontakt zum hilfesuchenden Menschen zu gehen. Warum?

Weil ich nicht mehr glaube, dass Therapie bei Bindungstrauma der richtige Weg ist. Denn was ist Therapie? Schauen wir uns die Defintion an:

“Therapie bezeichnet einen systematischen Prozess zur Behandlung von Krankheiten, Störungen oder Dysfunktionen, in physischer, psychischer oder auch sozialer Hinsicht.”

Brauchen wir bei Bindungstrauma eine Therapie?

  1. ein systematischer Prozess ist bei Bindungstrauma aus meiner Sicht nicht indiziert

  2. eine Behandlung ist gar nicht möglich

  3. Bindungstrauma ist auch keine Krankheit, Störung oder Dysfunktion

Wenn es nicht die Therapie ist, was brauchen wir dann? Dazu später mehr.

Erst einmal möchte ich auf die drei Punkte näher eingehen:

Systematischer Prozess bei Bindungstrauma?

Ich würde niemals ein Buch oder einen Kurs über die Behandlung von Bindungstrauma veröffentlichen. Warum?

Weil Bindungstrauma-Lösung eben kein systematischer Prozess ist und auch nicht sein kann.

Habe ich mir das Bein gebrochen, begebe ich mich in Behandlung und unterziehe mich einem systematischen Prozess. Klar.

Bindungstrauma dagegen ist ein hoch-individuelles Geschehen. Je mehr man versucht den Prozess zu systematisieren (sture Anwendung einzelner Therapie-Methoden), desto mehr entfernt man sich von der Lösung.

Denn jeder Mensch mit Bindungstrauma braucht einen anderen - teilweise diametralen - Ansatz.

Beispiele:

  • es gibt Klienten, für die ist ein Gruppensetting absolutes Gift. Ein solches System wird zwangsläufig zu Überforderung und Selbstvorwürfen führen. Diese Menschen werden aus Not sogar lügen oder schauspielern, nur um sich in einer Gruppe nicht mit den echten inneren Wahrnehmungen zu zeigen. Das merkt der Therapeut, der das System anwendet, dann gar nicht.

  • bei einigen Systemen wird Wut ausagiert. Das kann für einige Klienten einfach unschädlich oder neutral sein. Für andere dagegen ist es die Bestätigung des Bindungstraumas. Ergo: die Entfernung von der Lösung. In anderen Systemen wird Wut kategrorisch nicht ausagiert. Dabei gibt es jedoch Klienten für die das Ausagieren von Wut extrem wichtig und tatsächlich der einzige Weg aus Bindungstrauma ist.

  • es gibt Systeme, die sich auf einzelne Traumaebenen konzentrieren, wie z.B. auf die Projektionsebene. Das kann für einige Klienten gut und richtig sein. Andere Klienten brauchen wiederrum (vorerst) einen rein körperlichen Ansatz oder ausschließlich Arbeit mit den Gefühlen.

Deswegen ist der erste Aspekt von Therapie (“systematischer Prozess”) bei Bindungstrauma, aus meiner Sicht, bei Bindungstrauma nicht sinnvoll.

Schauen wir uns den nächsten Aspekt an:

Braucht ein Mensch mit Bindungstrauma eine Behandlung?

Um das zu beantworten, schauen wir uns die Definition von Behandlung an:

"Behandlung ist ein Begriff, der sich auf Methoden, Strategien und Techniken bezieht, die angewendet werden, um eine Krankheit oder Störung zu heilen, zu lindern, zu verhindern oder ihre Symptome zu managen.”

Genau das brauchen wir bei Bindungstrauma nicht. Und alleine diese Vorstellung bei dem hilfesuchenden Menschen sorgt für Schwierigkeiten in der Traumaarbeit.

Denn es kommt beim Klienten die Idee auf, dass da jemand wäre (Therapeut), der das Bindungstrauma wegmacht (Therapie). Das ist nicht der Fall. So funktioniert Traumaarbeit nicht.

Traumaarbeit funktioniert nicht wie eine Behandlung. Bindungstrauma zeigt sich im Kontakt und kann nur in einem Kontakt adressiert und korrigiert werden.

Statt den Klienten zu therapieren, befindet man sich in einem echten Kontakt. Grundvoraussetzung ist es natürlich, dass man selbst keinerlei bindungstraumatischen Anteile mehr mit sich herumträgt.

Ansonsten ist ein unverzerrtes, explizites und direktes in Kontakt treten mit dem Klienten gar nicht möglich.

Erst wenn der Kontakt zu Stande gekommen ist, werden therapeutische Methoden relevant. Doch auch mit diesen wird der Klient nicht therapiert.

Die Anwendungen werden genutzt, um Bindungstrauma im Kontakt gemeinsam als Team zu korrigieren. Und das auf der Ebene des Körpers, der Gedanken und der Gefühlsräume.

Veränderungen, die im Nervensystem (intrinsisch) initiiert wurden, führen dann zu Veränderungen in der Außenwelt (extrinsisch). Das Verhalten verändert sich, die Dynamik zwischen Menschen ebenfalls, genauso wie die Wirkung / Ausstrahlung auf andere Menschen.

Das wiederum führt zu neuen Erfahrungen und schließlich zu einer neuen Identität.

Dieser organische Prozess hat mit einer “Behandlung” rein gar nichts zu tun.

Ist Bindungstrauma eine Krankheit?

Kommen wir zum dritten Teil der Defintion von Therapie:

Therapie zielt definitionsgemäß darauf ab, eine Krankheit, eine Störung oder eine Dysfunktion zu behandeln. Fällt Bindungstrauma in eine dieser Kategorien? Ich sage nein!

Bindungstrauma ist ein hochintelligentes Schutzsystem des menschlichen Systems. Es hat als Kind das physische Überleben und/oder das psychische Überleben (Selbst) ermöglicht.

Es ist auch kein offiziell diagnostizierbares Leiden nach offiziellen Diagnosesystemen wie dem DSM-5 (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) oder der ICD-10 (International Classification of Diseases).

Lebensprobleme und Leidenszustande, die auf Grund von Bindungstrauma auftreten, sind nichts als Auswirkungen des Schutzprogramms.

Jeder Schutz geht nämlich auch mit Einschränkung einher. So müssen wir uns anschnallen, wenn wir sicher(er) Autofahren wollen. Wollen wir sicher(er) fliegen, brauchen wir den Security Check, usw.

Bei Bindungstrauma ist die Besonderheit, dass die Schutzfunktion heute gar nicht mehr gebraucht ist - sie ist obsolet.

Wir therapieren also keine Krankheit, Störung oder Dysfunktion, sondern zeigen dem System, dass es den Schutz nicht mehr braucht. Und damit fallen auch die Einschränkungen (wahrgenommen als Symptome) natürlicherweise weg.

Konklusion

“Therapie bezeichnet einen systematischen Prozess zur Behandlung von Krankheiten, Störungen oder Dysfunktionen, in physischer, psychischer oder auch sozialer Hinsicht.”

Bei Bindungstrauma ist Therapie nicht indiziert. Denn:

  • ein systematischer Prozess ist kontraindiziert

  • es kann nicht “behandelt” werden

  • Bindungstrauma ist keine Krankheit, Störung oder Dysfunktion

Deswegen arbeite ich mit der Deep-Connect-Methode, bei der es nicht um eine Therapie geht, sondern in erster Linie um vertieften Kontakt. Erst in zweiter Instanz werden Anwendungen eingesetzt, die das Bindungstrauma adressieren und mit denen wir die Verzerrung (obsoletes Schutzsystem) gemeinsam als Team lösen können.

Wenn du dich jetzt noch mehr über die Deep-Connect-Methode informieren möchtest, dann klick gerne mal auf den Button hier:

Alexander Bohley

hilft Menschen aus Bindungs- und Entwicklungstrauma

Zurück
Zurück

5 Fragen an den Traumatherapeuten

Weiter
Weiter

Heilungsraum: Wenn sich Bindungstrauma auf den Therapeuten projiziert